15.02.2021
Traut Euch!
... wie eines unserer Mitglieder: Theresia Bohl. Sie hat sich getraut, sich selbstständig zu machen. Ihr traut es Euch nicht zu? Das müsst ihr gar nicht, aber: Traut Euch, zu sagen, was ihr denkt, was vielleicht nicht so gut läuft, wie ihr Prozesse optimieren könnt. Denn nur so läuft es im Team! Trau Dich, Du selbst zu sein! Theresia hat uns in ihrem Artikel von der Seele gesprochen, aber lest selbst:
„Seit ich denken kann, bin ich Rechtsanwaltsfachangestellte. Ein Beruf, der mir immer viel Spaß und Freude bringt, da jeder Tag individuell und fachlich weit gefächert ist. Ich habe die Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten absolviert, die Weiterbildung als Rechtsfachwirtin und abschließend die Weiterbildung zur Wirtschaftsmediatorin, vor allem aus dem Grund Menschen besser zu deuten und richtig kommunizieren zu lernen. Ich arbeitete mehrere Jahre für eine Kanzlei in Hamburg Blankenese und anschließend in der Rechtsabteilung für einen großen Medienkonzern. Ich wollte alles mitnehmen, die verschiedenen Facetten sehen und für mich daraus Wissen schöpfen. Ich war immer bereit neue Dinge zu lernen, mein Ehrgeiz kannte keine Grenzen. Bis dato vergingen knapp zehn Jahre bis ich immer wieder an den Punkt kam, dass es noch Aufstiegsmöglichkeiten geben und ich feststellen musste, dass ich auf einer Stelle stehe. Also traf ich fast über Nacht die Entscheidung mich als Rechtsfachwirtin im Jahr 2015 selbstständig zu machen. Ich vertrete Mitarbeiter bei Urlaubs- und Krankheitsvertretungen, bei Engpässen und zur Projektunterstützung oder um einen Blick auf die Struktur- und Arbeitsprozesse zu werfen. Ich nehme die Erfahrungen, das Wissen und die Einblicke aus vielen verschiedenen Kanzleien mit. Was hat mich also dazu bewogen mich immer wieder neu einzuarbeiten und das volle Risiko und die Verantwortung für mich selbst zu übernehmen?
Ich gebe zu, es ist bereits einige Jahre her und ich hoffe und bin mir sicher, dass sich bis zum jetzigen Zeitpunkt viel verändert hat, jedoch höre ich hin und wieder die gleichen Probleme in den Kanzleien, die mich in meiner damaligen Entscheidung noch mehr bestärkt haben. Privat sowie beruflich teile ich die Meinung, Menschen immer auf Augenhöhe zu betrachten und lege großen Wert auf einen ehrlichen und respektvollen Umgang. In Kanzleien herrscht oft noch das „Hierarchie-Denken“, dabei wünschen wir uns doch nur, ein Team zu sein. Das Thema Wertschätzung war ein weiterer Punkt, den ich nur selten erfahren habe, trotz der ganzen Überstunden. Zu guter Letzt spielte sicher auch das Gehalt eine Rolle, das mich jeden Monat fertig machte und ich schauen musste, wie ich über die Runden komme. Ich hatte kein Verständnis mehr dafür, warum ich bis zur letzten Minute alles gebe und weit darüber hinaus arbeite. Das Geld hat dabei weniger geschmerzt, als die Tatsache keine Anerkennung zu erhalten. Also wollte ich meine eigene Chefin sein, um mich nicht mehr ärgern zu müssen. Nicht falsch verstehen: Das ist nicht für jedermann die Lösung, denn ich erkannte erst Jahre später, dass die Lösungen Vertrauen in mich selbst, Selbstbewusstsein und Mut sind. Schließlich weiß ich doch, was ich kann und das Gefühl lasse ich mir von niemandem nehmen.
Die Kanzleien zeigen mir gegenüber nach meinen Einsätzen viel Dankbarkeit, Wertschätzung und Anerkennung. Sie nehmen mich anders wahr als früher. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, da sie meinen externen Blick auf die Kanzleien als Expertenmeinung werten. Für mich ist es das Geschäft und sie sehen mich als eine Art Geschäftspartner, dabei sind es die gleichen Probleme, die ich aus vielen Gesprächen mit den Kollegen/innen mitnehme und als Sprachrohr für sie vermitteln kann. Ich werde oft gefragt: „Was läuft hier schief?“ Was ich immer tue: Ich antworte ehrlich und verstecke mich nicht. Dabei wurde mir oft bewusst, dass es nicht nur meine Position ist, sondern auch das Statement dahinter, welches ich selbstbewusst vertrete. Das ist mein persönliches Learning aus all den Jahren: Alles zu sagen, was mir auf dem Herzen liegt, einen respektvollen Umgang miteinander, Ehrlichkeit und das Vertrauen in mich selbst. Jeder hat das Recht seine Meinungen, Bedürfnisse und Wünsche mitzuteilen. Das habe ich mich früher als Angestellte nicht getraut aus Angst meinen Job zu verlieren oder dass man meine Meinung nicht ernst nimmt. Immer die Angst, ich dürfte nichts sagen, weil es mir nicht zusteht. Heute weiß ich, dass dies die komplett falsche Einstellung und Herangehensweise war. Ich bin doch nicht weniger wert. Heute gehe ich respektvoll, aber selbstbewusst in solche Gespräche. Nun höre ich oft: „Du bist ja auch in einer anderen Position.“ Das ist richtig und ich traue mich vielleicht eher einzugreifen, aber es ändert nichts an unser aller Situation: Jeder darf seine Meinung vertreten. Ich bin auch „nur“ Auftragnehmerin, aber ich sage, was ich denke. Das darf und soll jeder. Jedes Wort ist wichtig, ob Führungsposition oder angestellt. Die bittere Wahrheit schmeckt erstmal keinem, aber wie soll sich etwas ändern, wenn dein Gegenüber nicht weiß, was in dir vorgeht, welche Probleme in der Kanzlei sind oder sei es auch nur Veränderungen oder das klassische Gehaltsgespräch. Wie hat eine Kollegin gerade zu mir gesagt: „Wie soll ich jemandem auf Augenhöhe begegnen, der mir stetig zeigt, dass ich „nur“ eine Assistenz bin. Ich werde ihm jetzt das Gegenteil beweisen.“ Richtig. Die Kanzlei funktioniert nur im Team, der Anwalt kann deine Aufgaben nicht und du kannst seine nicht. Ihr greift wie ein Zahnrad ineinander und das weiß auch der/die Vorgesetzte. Man wird nur so behandelt, wie man sich nach außen zeigt. Also zeige dich! Wichtig ist sich zu trauen, ob im Gehaltsgespräch, weil du weißt, was du kannst oder auch mal über den Tellerrand zu schauen und Aufgaben zu übernehmen, die im ersten Moment schwierig erscheinen. Jeder hat die Berechtigung gehört zu werden und erst wenn man sich traut selbstbewusst in die Zukunft zu schauen, wird man auf Augenhöhe gehört und gesehen. Es gehört Mut dazu selbstbewusst in schwierige Gespräche zu gehen, aber das sieht auch dein Gegenüber und spätestens jetzt weiß der Vorgesetzte, dass er/sie es mit einer Person zu tun hat, die maximal für den Job brennt und den Mut hat, von Mensch zu Mensch zu sprechen und nicht Führungskraft zu Angestellte/r. Selbstbewusst heißt auch sich auf die Gespräche vorzubereiten, seinen eigenen Wert zu kennen und vor allem zu schätzen, sich auf ein Thema zu fokussieren, um die volle Aufmerksamkeit zu erlangen und auf einen konsequenten und respektvollen Gesprächsverlauf zu achten. Es werden einem immer Menschen begegnen, die es einem versuchen schwerzumachen, das hat sicher auch seine Gründe. Das ist nichts Persönliches, sondern nur Herausforderungen, Erfahrungen und ein Lernprozess für dich, um damit richtig umzugehen. Lasse nicht andere für dich entscheiden, sondern triff deine Entscheidungen selbst.“
(Theresia Bohl)
Wir als Berufsverband stärken euch nicht nur berufspolitisch den Rücken, sondern organisieren auch die entsprechenden Fachseminare für euch. Schaut gerne bei uns unter www.reno-fachseminare.com vorbei; wenn ihr den Filter Hamburg entfernt, werden euch alle Seminare bundesweit – auch von anderen Ortsvereinen – angezeigt. Sprecht auch Eure Chefs an, denn auch sie profitieren von gut ausgebildeten Mitarbeitern!
Es grüßt euch herzlich,
Rainer Schulz
1. Vorsitzender
www.reno-hamburg.de
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